Die Kurzgeschichte
Die Kunst des Weglassens
Das Genre der Kurzgeschichte unterliegt nicht wirklich festen Regeln und wer sich genauer darüber informieren will, findet eine sehr gute Beschreibung dazu im Bücher-Wiki. Zuerst ist da die Idee, verschwommen vielleicht noch. Mit jedem Tastenanschlag wird sie präziser, fülliger und in nur kurzer Zeit wird aus dieser Idee ein hübscher Text. Fertig, könnte man meinen und diese Meinung findet ihre Bestärkung in so einigen Traktaten, die im Web herumgeistern.
Doch ist das wirklich alles? Schnell etwas hingeschrieben, das einen Anfang, ein Ende, dazwischen einen Spannungsbogen hat und dann ist der Nobelpreis für Literatur nicht mehr fern wie für Alice Munro im Jahr 2013? Ich denke, dass es nicht ganz so einfach ist. Eine wirklich gute Kurzgeschichte hat etwas von einem Eisberg. Das, was der Leser vor sich hat, ist nur die Spitze, doch unter der Oberfläche aus Buchstaben und Satzzeichen lauert ein ganzer Roman, der entdeckt werden will und den nur der Leser sich selbst erzählen kann. Es ist nicht mehr als das Fenster zum Hof, in dem die wirkliche Handlung spielt.
Was für jeden Roman gelten sollte, wird in einer guten Kurzgeschichte auf die Spitze getrieben – jedes Zeichen, jedes Wort und jeder Satz haben ihre Bedeutung. Nichts ist einfach so hingeschrieben, um nur da zu sein und gelesen zu werden. Weniger ist mehr. So bedeutet das Schreiben einer Kurzgeschichte vor allem eines: Arbeiten. Es ist das Ringen um die maximale Aussage mit so wenig wie möglich Worten. Sie ist ein Katalysator, der die Phantasie des Lesers zündet; ihn dazu bringt, hinabzutauchen unter die Oberfläche seines bewussten Denkens und dort zu erkunden, was sich unter der Spitze des Eisberges verbirgt. Wenn die Geschichte wirklich gut ist, wird er dort jemanden finden, den er kennt: sich selbst.