3 Januar 2018

Wie man wahrscheinlich ein gutes Buch schreibt

Ich glaube, Einstein war es, der gesagt hat: „Genie ist neunzig Prozent Fleiß und zehn Prozent Talent.“ Das passt ganz gut zu nicht nur meiner Meinung, dass Schreiben ein Handwerk ist und das jeder dieses Handwerk lernen kann. Das Schreiben von Texten und von Büchern folgt Regeln und dabei sind Orthographie und Grammatik nur die Grundlagen. Ich denke, dass es viel mit Selbstehrlichkeit zu tun hat. Auch wenn ich dafür jetzt Prügel bekomme – niemand, wirklich niemand – schreibt ein ganzes Buch nur für sich selbst. Wenn dem so wäre, warum sollte er es dann veröffentlichen? Bücher werden geschrieben, damit andere Menschen sie lesen.
Etwas ganz anderes ist die Frage, warum der Autor möchte, dass andere seine Texte lesen. Die Antwort darauf hat etwas mit Selbstehrlichkeit zu tun, die nach meiner Erfahrung bei den meisten Neuautoren nicht sehr ausgeprägt ist, vorsichtig formuliert. Geld verdienen? Anerkennung und Bewunderung einheimsen? Anderen etwas mitteilen wollen? Wohlgemerkt, ich rede nicht von den Gründen, ein Buch zu schreiben, sondern von den Gründen, aus denen ein Autor sich entschließt, es zu veröffentlichen.
Leser beurteilen, oftmals ohne es selbst zu wissen, ob das Buch gängigen Standards, also den o.g. handwerklichen Regeln entspricht. Sie können es nicht so formulieren, sondern für sie ist die Frage: Liest es sich gut? Sie interessiert nicht, ob der Autor der Welt etwas beweisen will, ihr etwas mitzuteilen hat, seine schwierige Kindheit für alle sichtbar aufarbeiten will, Geld verdienen will oder allen zeigen will, was er für ein toller Hecht ist. Den Leser interessiert nur eins – er will gut unterhalten werden.
Genau diesem Anspruch muss sich jedes Buch und damit auch jeder Autor stellen. Genau das ist aber etwas, was wiederum viele Neuautoren nicht die Bohne interessiert. Denn um gute Unterhaltung für den Leser zu schreiben, muss man verdammt hart arbeiten und sein Handwerk beherrschen.
Nur einige Punkte daraus:
– Zielgruppenkenntnis;
– starke/schwache Verben;
– aktiv/passiv;
– indirekte Wahrnehmung;
– Erzählperspektive, Handlungsperspektive;
– show, don’t tell;
– Umgang mit Adjektiven und Adverbien;
– Dialogauszeichnungen;
– Blähwörter und Abschwächer;
– Gleichzeitigkeitsanzeiger;
– lange und Schachtelsätze.
Das sind nur einige wenige Stichpunkte aus einem Handwerkskatalog, nämlich dem des Schreibens. Sie alle kann man lernen, es braucht halt nur viel Zeit, Kraft und Ausdauer. Man muss es nicht tun, wenn man Bücher nur für sich selbst schreibt. Man muss auch nicht lernen, mit Kritik umzugehen, wenn man nur für sich schreibt. Wenn man jedoch Texte veröffentlicht, werden auch Meinungen kommen und diese Meinungen treffen umso härter, je mehr sie von dem abweichen, was der Autor selbst über seinen Text denkt und damit sind wir wieder bei dem Punkt „Selbstehrlichkeit“.
Immer dann, wenn ich bei einer Textstelle Bauchgrummeln hatte, aber dachte, das geht schon so, hat meine Frau an genau der Stelle beim Vorlesen die Stirn kraus gezogen. Wenn ein Leser oder ein Rezensent sagt: „Das gefällt mir nicht.“, dann ist das so, da hilft auch kein Diskutieren. Ein Buch oder ein Text, den man hinterher erklären muss, ist Schrott. Denn wenn jemand ein Buch liest, erwartet er, dass am Ende alle Fragen geklärt sind. Genau das ist die Aufgabe des Autors.
Deswegen, unter anderem, gibt es in Verlagen Lektoren. Das sind keine Leute, die die Rechtschreibung kontrollieren, das tun sie nur nebenbei. Es sind Konzeptkontrolleure, die schauen, ob das Buch zur Zielgruppe passt, ob der Spannungsbogen stimmt, ob die Cliffhänger sitzen, ob rechtliche Sachen eingehalten wurden und, und, und ….
Dem Leser ist es egal, ob das Buch aus einem Verlag kommt und lektoriert wurde. Aber er erwartet die handwerkliche Qualität aus einem Verlag. Diesem Problem muss sich der Selfpublisher stellen und leider sind sich viele dessen überhaupt nicht bewusst. Sie erwarten einfach für die Tatsache, ein Buch geschrieben zu haben, in den Himmel gelobt zu werden.
Ein Buch schreiben kann jeder Idiot, dazu muss er nur Buchstaben und Satzzeichen in ausreichender Menge aneinanderfügen und es anschließend bei Amazon hochladen. Genau das tun auch viele.
Ein gutes Buch zu schreiben, bedeutet, nicht nur an sich zu denken, sondern an die, für die dieses Buch geschrieben ist, an die Leser. Was wollen sie, wie wollen sie es. Das ist verdammt harte Arbeit, es ist Lernen ohne Ende, ist Heulen, Verzweifeln, Schreien, Fluchen. Es ist aber auch pures Glück, wenn die Szene endlich stimmt, ist Tränen in den Augen, wenn endlich etwas herauskommt, von dem du sagst: „Gott, ist das gut. Das habe ich geschrieben?“, und kein innerer Schweinehund ist anderer Ansicht.
Ganz lange Rede, jetzt kommt der Sinn: Es ist deine Entscheidung, ob du an dieser Stelle aufgeben willst. Willst du kämpfen, bedeutet es, verdammt hart zu arbeiten, mit Kritik leben zu lernen, deine Lieblinge zu töten und nachts nicht schlafen zu können, weil da irgendetwas in deinem Text nicht stimmt und dir nicht einfällt, warum.
Niemand wird als guter Autor geboren, jedes gute Buch ist das Ergebnis eines langen schriftstellerischen Leidensweges, an dessen Ende der Preis nicht das Lob anderer ist und nicht das verdiente Geld. Es ist Stolz auf eine Leistung, die nur du vollbracht hast und die dir niemand nehmen kann: Du hast ein gutes Buch geschrieben.

16 Februar 2016

Die Kurzgeschichte

Die Kunst des Weglassens

Das Genre der Kurzgeschichte unterliegt nicht wirklich festen Regeln und wer sich genauer darüber informieren will, findet eine sehr gute Beschreibung dazu im Bücher-Wiki. Zuerst ist da die Idee, verschwommen vielleicht noch. Mit jedem Tastenanschlag wird sie präziser, fülliger und in nur kurzer Zeit wird aus dieser Idee ein hübscher Text. Fertig, könnte man meinen und diese Meinung findet ihre Bestärkung in so einigen Traktaten, die im Web herumgeistern.

Doch ist das wirklich alles? Schnell etwas hingeschrieben, das einen Anfang, ein Ende, dazwischen einen Spannungsbogen hat und dann ist der Nobelpreis für Literatur nicht mehr fern wie für Alice Munro im Jahr 2013? Ich denke, dass es nicht ganz so einfach ist. Eine wirklich gute Kurzgeschichte hat etwas von einem Eisberg. Das, was der Leser vor sich hat, ist nur die Spitze, doch unter der Oberfläche aus Buchstaben und Satzzeichen lauert ein ganzer Roman, der entdeckt werden will und den nur der Leser sich selbst erzählen kann. Es ist nicht mehr als das Fenster zum Hof, in dem die wirkliche Handlung spielt.

Was für jeden Roman gelten sollte, wird in einer guten Kurzgeschichte auf die Spitze getrieben – jedes Zeichen, jedes Wort und jeder Satz haben ihre Bedeutung. Nichts ist einfach so hingeschrieben, um nur da zu sein und gelesen zu werden. Weniger ist mehr. So bedeutet das Schreiben einer Kurzgeschichte vor allem eines: Arbeiten. Es ist das Ringen um die maximale Aussage mit so wenig wie möglich Worten. Sie ist ein Katalysator, der die Phantasie des Lesers zündet; ihn dazu bringt, hinabzutauchen unter die Oberfläche seines bewussten Denkens und dort zu erkunden, was sich unter der Spitze des Eisberges verbirgt. Wenn die Geschichte wirklich gut ist, wird er dort jemanden finden, den er kennt: sich selbst.