2 Dezember 2017

Nur ein Lächeln

Das viel zu laute Lachen des breitschultrigen Mannes mit dem wenigen, aber wirren Haar am Tresen dröhnte durch die Halle: „Wenig Kohle und zu jedem Idioten musst du freundlich sein. Ich müsste ja ein Vollpfosten sein, wenn ich hier arbeiten würde!“
    Er nickte dazu und die Schweißperlen auf seiner Stirnglatze rollten über die Wange, fanden zielsicher ihren Weg durch den offenen Kragen seines Polohemdes und gesellten sich dort zu ihren vielen Vorgängern. Er blickte mit glitzernden Augen der kleinen, nicht mehr jungen Frau mit den langen roten Locken hinter dem Tresen auf die Brüste. „Du bist zwar nicht mehr so taufrisch, aber mit deinem Aussehen könntest du noch ordentlich Kohle verdienen. Natürlich nicht in dem Schuppen hier.“
    Den winzigen Aussetzer in der kreisenden Bewegung ihrer kleinen Hände, mit der sie ein Glas polierte, und den bläulich schimmernden Stahl in ihren Augen nahm er nicht wahr. Ebenso wenig wie den besorgten Blick, den sie mit zusammengezogenen Brauen nach links ins Dunkel warf.
Sie stellte das Glas auf den Tresen, strich sich mit beiden Händen über die schmalen Hüften, tat so, als wollte sie sich drehen und fragte: „Meinen Sie wirklich? Doch nicht etwa mit Ihnen?“
    Die Wangen der Blondine mit den hungrigen Augen auf dem Barhocker neben dem Mann nahmen die Farbe einer überreifen Apfelsine an. „Wir wollten schon vor einer halben Stunde gehen!“, piepste sie, schob seine Hand von ihrem Schenkel und blickte angewidert auf den feuchten Fleck, der auf ihrer Strumpfhose zurückblieb.
    Ein paar Schritte entfernt, im Halbdunkel hinter dem Counter des Bowlingcenters, lehnte Hartwig mit vor der Brust gekreuzten Armen und schmerzendem Rücken an der Wand und beobachtete die Szene mit zornig zusammengepressten Lippen. Eigentlich hätte er viel lieber gelächelt. Es bügelte die Falten aus dem Gesicht, fand er. Vor allem bekam man es meistens mit Zins und Zinseszins zurück. Doch zweiundsechzig Kinder und einhundertachtundneunzig Erwachsene hatten in den letzten elf Stunden im Bowlingcenter ihren Spaß gehabt und jeder von ihnen hatte ein bisschen von seinem Lächeln abgezwackt, bis nichts mehr davon geblieben war. Jetzt feierten Stresshormone und Kopfschmerzen in seinem Kopf eine wüste Party und endlich nach Hause fahren und in sein Bett fallen zu können, war alles, was er sich noch wünschte. Nur stand diesem Wunsch das besoffene Pärchen am Tresen entgegen und ihre Ignoranz war es, die ihn wütend machte.
    In Gedanken schrumpfte er die beiden auf die Größe von Pins, stellte sie am Ende der Bahn auf das Pindeck, suchte sich den schwersten Ball und nahm genüsslich Anlauf. So ein Bowlingball wog bis zu acht Kilogramm, wurde mit Geschwindigkeiten von manchmal mehr als dreißig Kilometern pro Stunde abgefeuert und wo solch ein Geschoss einschlug, wuchs kein Gras mehr. Tischplattenstarke Holzbalken splitterten dann wie Glasscheiben und die zehn Pins am Ende der Bahn krachten bei einem Strike gegen die Wände, dass am Counter hinter dem Spielbereich noch Gläser vibrierten.
    Hartwig kehrte in die Wirklichkeit zurück und sagte ruhig in die Richtung der beiden am Tresen: „Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“
    Der Mann drehte seinen Kopf und knurrte: „Da ist ja noch einer. Na sowas. Hey, Vollpfosten, was bekommst du hier?“
    In Hartwigs Gedanken raste der Bowlingball gerade auf den Typ zu.
    Der Mann knallte seine Hand auf die Tresenplatte: „Ich rede mit dir!“
    Hartwig sagte kalt: „Was ich hier verdiene, geht Sie nichts an!“
    Die Blondine blickte ihm ins Gesicht und das, was sie da sah, gefiel ihr nicht. Sie zerrte ihren Freund am Arm. „Komm jetzt. Die Leute wollen Feierabend machen.“
    „Warte!“, fauchte er sie an. „Ich will eine Antwort!“
    Er rutschte von seinem Barhocker, stemmte nach ein paar schwankenden Schritten die Hände vor Hartwig auf die Platte, auf der die Gäste nach dem Spielen die Schuhe abstellten, und höhnte: „Du verdienst hier was? Unglaublich! Soll ich dir sagen, was du gleich von mir kriegst?“
    Hartwig warf leise seufzend einen Blick auf die Eisenstange unter der Tischplatte. Lang wie ein Polizeischlagstock, wog sie mehr als zwei Kilogramm und er benutzte sie gewöhnlich, um die Seitenwände der Bahnen hochzuklappen, damit auch die Kleinen Spaß beim Bowling hatten. Er dachte an Patrick Swayze, den Film „Roadhouse“ und daran, dass es nie persönlich war und er immer nett zu sein hatte. Er zog die Eisenstange unter dem Tisch hervor, schaute dem Mann voll in die Augen und patschte sie deutlich hörbar in seine linke Handfläche.
    Der Mann fuhr zurück und seine Augen wurden groß. Fast so groß wie die des kleinen Mädchens mit den lustigen blonden Zöpfen, das vor ein paar Stunden nicht genug Kraft gehabt hatte, die Bowlingkugel stark genug zu werfen. Hartwig hatte die Kleine auf seine Arme genommen und sie über die Bahn getragen, damit sie selbst die Kugel wieder aufnehmen und es noch einmal versuchen konnte. Die ganze Halle hatte gejohlt und seine Belohnung waren ein schüchternes „Danke“ und ein strahlendes Lächeln gewesen. Und auch an den alten Herrn mit dem steifen Bein und den mürrisch nach unten gezogenen Mundwinkeln erinnerte Hartwig sich, der drei Strikes nacheinander geworfen hatte. Ein Schulterklopfen für diese Leistung hatte die Mundwinkel des Mannes nach oben gebogen und in seinem Gesicht die Sonne aufgehen lassen.
    Hartwig ging an dem betrunkenen Mann vorbei ins Dunkel. Irgendwie war ihm, als hätte er vergessen, eine der Kinderbahnen herunterzuklappen. Auf halbem Weg verhielt er, drehte sich noch einmal um und sagte: „Lächeln verdienen wir hier, nichts weiter als ein Lächeln. Wann hatten Sie Ihr Letztes?“

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Verfasst 2. Dezember 2017 von Rainer Sonnberg in category "Kurzgeschichten
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