20 Juli 2019

Tötet sie!

Oder warum Mark Twain der heutigen Journaille nicht einmal mehr die Sechstausenddollarschuhe putzen dürfte.

Ich wollte diesen Beitrag schon vor gut fünfunddreißig Jahren schreiben. Allerdings kannte ich da nur die DDR-Strophen des Liedes „Wessen Brot ich esse, dessen Lied singe ich.“ Dass es in der heutigen Zeit noch weitere geben würde, hätte ich nicht erwartet. Aber es macht keinen Unterschied. Das, um was es geht, ist zeitlos.
Zwei Vorbemerkungen erlaube ich mir. Erstens halte ich das Wort „Wir“ in der heutigen Zeit für die gefährlichste Waffe der deutschen Politik und des deutschen Journalismus. Es wird immer dort verwendet, wo Gemeinsamkeiten heraufbeschworen werden sollen, die in Wirklichkeit nicht existieren. „Wir schaffen das“, ist eine so klare Aussage, dass noch niemand gefragt hat, wer und was mit dem „Wir“ gemeint war. Alle Welt ist davon ausgegangen, dass „wir Deutschen“ gemeint war, also die, die schon länger hier leben. An wir „cleveren Politiker“, „wir Trickser“, „wir Grundgesetzaushebeler“ hat niemand gedacht. Ich übrigens auch nicht. Ich denke Schlimmeres.
     Über das „Was“ hat auch keiner nachgedacht. Jeder ist davon ausgegangen, es war die Aufnahme von ein paar einhundert Millionen vor politischer Verfolgung und Krieg flüchtender Afrikaner. Die Frage, ob „wir schaffen das“ nicht nur der erste Teil eines zusammengesetzten Satzes war, von dem der zweite Teil lautete: „ … unsere Wähler aufs Kreuz zu legen, die Bundeswehr zu ruinieren, unsere Macht zu zementieren und die Kuscheltierindustrie vor dem Ruin zu retten“, ist dann auch nicht näher erörtert worden.
     Da das „Wir“ also ein bisschen abgenutzt ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als diesen Beitrag aus der personalen Perspektive zu schreiben. Das passt auch besser, schließlich gibt er nur meine Meinung wieder, die in Deutschland, so viel ich weiß, wenn sie nicht der gängigen politischen Richtlinie entspricht, zwar mit Ausgrenzung, Bashing, Arbeitsplatzverlust, Facebooklöschung und dem mittlerweile fast schon einem Ritterschlag gleichenden Attribut „rechtsextrem“ bestraft werden kann, aber noch nicht nach dem Gesetz.
     Zweitens habe ich nichts studiert, was in irgendeiner Weise Journalismus auch nur nahe kommt. Wenn ich trotzdem einen Beitrag über das schreibe, was in der heutigen Zeit als solcher bezeichnet wird, so deshalb, weil ich mich als Opfer davon betrachte und wenn ich mich recht erinnere, so steht einem zum Tode Verurteilten noch ein letzter Wunsch zu. Tatsächlich sehe ich mich als Konsument der journalistischen Meisterleistungen von ARD/ZDF, Spiegel und Konsorten so – verurteilt zum Tod durch Verblödung.
Der Grund sind die Worte eines großen, lange vor mir verstorbenen Mannes – Mark Twain: „Wenn Sie ein Adjektiv sehen, töten Sie es.“
     Jedem, der sich ernsthaft mit Schreiben beschäftigt, wird dieser Satz früher oder später eingeprügelt. Er hat seine absolute Berechtigung und seine Nichtbeachtung ist der Grund für das Scheitern vieler Autoren. Was ja nicht weiter schlimm ist, denn dieses Scheitern scheint mir so etwas wie die perfekte Bewerbung für die Anstellung als Journalist bei den so genannten Mainstreammedien zu sein und damit für ein gesichertes Auskommen, dass die Autoren guter Bücher in Deutschland eher weniger haben.
     Ich meine, wer liest denn noch Schinken, bei denen man selbst denken muss, weil keine erklärenden Attribute und Adjektive vorhanden sind? Selbst denken ist völlig out, man lässt heutzutage nicht nur die Kinder die Welt retten oder Bots Facebookdiskussionen führen – nein, denken überlässt man den Machern der Medien und konsumiert nur das, was sie gedacht haben, was gedacht werden soll. Schließlich kommt es immer anders, wenn man selber denkt und wer will das schon?
     Jeden Abend, wenn sich Claus Kleber räuspert, wissen Sie, dass Sie sich zurücklehnen und entspannen können, denn jetzt wird Ihnen die Welt erklärt. Vielleicht beschleicht Sie ja ab und zu der Wunsch, das Gesagte etwas anders zu interpretieren, aber das wäre Arbeit und wozu sollen Sie sich diese machen, wenn der Erklärbär Sie Ihnen schon abgenommen hat. Ist halt ein Netter, der gute Claus und wie sie alle heißen. Um zu verstehen, wie viel er wirklich für Sie tut, muss ich ein wenig Theorie über Attribute und Adjektive einschieben. Beide bewirken etwas, das in Nachrichten und in guten Büchern nur wenig zu suchen hat: Sie geben die Meinung dessen preis, der sie benutzt. Sie verraten, was er fühlt, was er denkt oder was er Sie denken machen möchte. Die deutsche Bezeichnung für ein Adjektiv ist „Eigenschaftswort“ und genau das tut es – es verleiht eine Eigenschaft. Oder, um es korrekt auszudrücken, derjenige, der es verwendet, verleiht oder erläutert eine Eigenschaft des Hauptwortes. Er erklärt es und es ist seine Sache, ob diese Erklärung korrekt ist.
     Ein ganz einfaches Beispiel dazu: „Morgen wird es warm.“ So könnte ein Wetterbericht beginnen, meinen Sie? Da liegen Sie falsch. So könnte ein Kommentar dazu beginnen, aber nicht der Bericht selbst. „Warm“ ist ein Adjektiv und es gibt das Empfinden dessen wieder, der es verwendet. Nehmen wir an, es ist April, die heutige Temperatur betrug zehn Grad und morgen werden achtzehn Grad erwartet. Für den Sprecher mag das warm sein, doch wie wird ein Nordafrikaner darüber denken? Korrekt wäre also die Angabe der zu erwartenden Temperatur. Das bringt nur ein Problem – Sie müssten selbst entscheiden, ob sie die Jacke zu Hause lassen oder nicht. „Morgen wird es warm“, nimmt Ihnen diese Entscheidung ab, wenn Sie sich darauf verlassen, statt selbst zu denken.
     Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie, im Urlaub in Griechenland, in Badehose auf einem Felsen und fünf Meter unter Ihnen glänzt das wunderbar azurblaue Wasser des Mittelmeeres. Den Grund können Sie nicht sehen und Sie überlegen, ob sie hineinspringen sollen. Es ist zu verführerisch, die Mädels lachen schon und sie können sich nicht entscheiden. Eine Querschnittslähmung ist eine ziemlich hässliche Sache. Plötzlich steht Marionetta Slomka neben Ihnen, im Bikini, wunderbar nicht von Schminke, sondern von der Sonne gebräunt, und sagt zu Ihnen im Brustton der Rechtschaffenheit, wie sie ihn auch beim Verlesen der Nachrichten anschlägt: „Das Wasser ist tief hier.“
     Was würden Sie tun? Ihr Leben hängt von einem Adjektiv ab, dass die gute Dame benutzt hat. Würden Sie springen? Ohne nachzudenken? Nein? Warum denn nicht, Sie tun es doch sonst jeden Abend. Schließlich lassen Sie doch von der Dame neben Ihnen einen großen Teil Ihres Denkens und damit Ihres Lebens bestimmen, ohne darüber nachzudenken, ob sie Recht hat mit dem was, sie sagt.
     Es gibt Attribute, die sind unverzichtbar. Wie eben dieses „unverzichtbar“. Manchmal geht es nicht ohne, zum Beispiel bei Vergleichen und Unterscheidungen. „Die deutsche Industrie entwickelt sich langsamer als die asiatische.“, oder „Sieht die rote oder die blaue Bluse besser aus?“
     Aber alles darüber hinaus ist eine Wertung, eine subjektive Einschätzung des Erzählenden und es sollte Ihre Entscheidung sein, ob Sie dieser Wertung zustimmen oder es, nach dem Sie darüber nachgedacht haben, nicht tun. Attribute können sich an vielen Stellen verstecken und manchmal ist es gar nicht so einfach, auf sie aufmerksam zu werden. Dazu ein paar Beispiele.
     Adjektiv als Attribut: Den hässlichen neuen Hut hat mir mein Freund geschenkt.
     Partizip als Attribut: Den lärmenden Bengel setze ich vor die Tür.
     Adverb als Attribut: Den Ferrari dort möchte ich probefahren.
     Genitivattribut: Der Aufsatz meines Schülers ist schrecklich.
     Präpositionales Attribut: Wir wollten im Sommer mit dem Auto nach Kroatien fahren.
     Attributsatz: Den Hut, den du von deinem Freund geschenkt bekommen hast, finde ich schrecklich.
     Apposition: Baschar al-Assad, der Fassbombenwerfer in Syrien, wird gestürzt.
     Wie Sie in allen Beispielen sehen, stellt das Attribut in seinen verschiedenen Formen eine Erklärung, sogar eine Wertung, dar. Eine nähere Erläuterung aus der Sicht des Erklärenden. Attribute gehen im gesprochenen Satz unter und werden meistens nur bewusst wahrgenommen, wenn sie einen inneren Widerspruch wecken. Mit einigem Geschick kann man also durch die Verwendung entsprechender Attribute und ihre häufige Wiederholung ein Wertesystem auf den Kopf stellen. Nein, ich meine nicht das westliche Wertesystem, das steht da schon lange. Aber nehmen Sie den letzten Beispielsatz. Wie anders klingt er ohne die Apposition: „Baschar al-Assad wird gestürzt.“
     Natürlich, Ihre instinktive Sympathie wäre sofort auf seiner Seite. Schließlich wollen Sie nicht, dass irgendwer irgendwo gestürzt wird. Also braucht es eine Erklärung, weil Sie ja nicht wissen können, dass der Mann ein Bösewicht ist. Kommt sofort:
     „Keine Panik, wir sind die Guten, wir sorgen dafür, dass sie ohne Gewissensbisse schlafen können. Warum er gestürzt werden muss? Der Mann hat Fassbomben geworfen, das sind hässliche Dinger mit Sprengstoff und Nägeln darin. Naja, nicht er selbst. Das hat er machen lassen. Ob wir das genau wissen? Aber natürlich, wir haben da eine Quelle und Sie verstehen doch, dass wir die nicht einfach so nennen können. Was, internationaler Gerichtshof? Wissen Sie, wie lange das dauert? *Hüstel*, ist halt ein bisschen komplizierter, aber das zu erklären, dauert lange und wir haben dafür nicht die Zeit.“
     Merken Sie etwas? Jede Erklärung wirft Fragen auf und eine beantworte Frage zwei neue Fragen. Es sei denn, die Erklärung wird in ein Attribut gepackt. Das schleicht sich über die Hintertür ins Gehirn, setzt sich dort fest und es braucht nicht erklärt zu werden. Weil niemand fragt. Ich bin ein ordentlicher Mensch, auch in meinem Kopf, und so reicht es mir, wenn ich etwas einen Zettel ankleben und es in das richtige Fach sortieren kann. Ob der Zettel und das Fach stimmen, ist nicht so wichtig, Hauptsache wegsortiert. Aufkleber drauf und fertig. Das hatten wir schon einmal, ist nur so lange her, dass sich keiner mehr daran erinnern will, wie es wirklich war. Nur noch die Begriffe sind geblieben und das viele Leute rechts und links nicht unterscheiden können, ist nicht nur ein Problem im Straßenverkehr.
     „Rechtsextrem?“ Alles klar, hinterm Hippocampus, dritte Tür links. „Sozialverträglich“? Irgendwo in der Nähe vom Kleinhirn. „Verschwörungstheoretiker?“ Mist, das Fach ist voll, da liegen auch die Seenotrettungsleugner drin, war viel los die letzte Zeit. Aber halt, bei den Nazis ist noch Platz, ist sowieso kein großer Unterschied. Bei den nächsten Nachrichten habe ich dann das beruhigende Gefühl, über alles Bescheid zu wissen. Ha, alter Hut, kenne ich, ich weiß sogar noch auf Anhieb den Weg zu dem Fach, in das ich Salvini packen muss.
     Mit dem eben Gesagten habe ich den Teil übersprungen, in dem ich der Frage nachgehe, ob die massenhafte Verwendung von Attributen in den täglichen Nachrichten auf Unfähigkeit oder auf wohlberechneter Absicht beruht. Das hat seinen Grund, denn wenn ich alle drei Monate auf meinen Kontoauszug mit der GEZ-Gebühr schaue, muss ich davon ausgehen, dass die Nachrichten von hochbezahlten Profis gemacht werden. Profis, die genau wissen, was sie tun.
Es wäre schön, wenn ich wenigstens wüsste, warum sie das tun. Oder für wen. Aber das sagen mir ihre als Nachrichten verkauften Meinungen nicht.

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4 Juli 2019

2:1 für die Wahrheit

Eine kleine Geschichte über den letzten Championsleaguesieg der Bayern, Todesschüsse, Fake News, Schlafschafe und darüber, wie man sich mit einfachsten Mitteln eine Gehirnbombe baut, die das ganze Lügengespinst einfach nur in Rauch aufgehen lässt.

Es war das Jahr 2013. Die Bundeskanzlerin sagte dem Steuerbetrug den Kampf an, ein Bundesfinanzminister namens Schäuble ließ gestohlene CD’s mit Daten über Steuersünder kaufen; zum ersten Mal trat ein Papst zurück; die FDP flog aus dem Bundestag und Edward Snowden riss den amerikanischen Geheimdiensten die Maske vom Gesicht. Übrigens jener Edward Snowden, der bis heute, obwohl Asyl ein Menschenrecht sein soll, in Deutschland eben jenes nicht bekommt. Aber darüber dachte ich damals nicht nach, schließlich wusste ich Bescheid, denn ARD, ZDF, Spiegel, Focus und SZ versorgten mich mit den Informationen, die ich brauchte, um alles zu verstehen und ersparten mir den mühseligen Job, selbst zu denken.

Es war ein gutes Gefühl, in einem Land zu leben, in dem die Regierung nicht nur die kleinen Leute zwischen die Beine – sorry – in die Hosentasche fasste, sondern auch deutlich machte, dass sie die Großen genau so behandeln würde. Wie beim Herrn Hoeneß. Zu jener Zeit war schon klar, dass er so ein bisschen herumgezockt hatte mit ein paar Millionen aus der Portokasse und tatsächlich auch noch Gewinn dabei gemacht hatte. Na ja, der Teufel scheißt halt immer auf den größten Haufen. Dummerweise hatte der gute Herr Hoeneß jedoch vergessen, diesen Haufen rechtzeitig vor die Tür des Finananzamts zu karren und deshalb würde es ihm an den Kragen gehen. Hatte die Bundeskanzlerin gesagt.

Dann kam der 25. Mai. Ausnahmezustand in Deutschland und volle Hütte im Wembleystadion in London. Die Bayern knallen Dortmund weg und Frau Merkel meinen Schlafschafglauben. Ich erinnere mich an diese Bilder, als wäre es erst gestern geschehen: Kurz nach Beginn und nach Ende des Spiels geht die Bundeskanzlerin zu Uli Hoeneß und schüttelt ihm lächelnd die Hand. Dem Millionensteuerbetrüger. Die Politik geht zum Geld und neigt den Kopf.

An jenem Abend habe ich hin- und hergezappt, Zeitungen am nächsten Morgen gekauft, doch nirgendwo fand ich einen Kommentar dazu und verstand es nicht. Ich meine, welche Zeitung, welcher Sender lässt sich so eine Schlagzeile entgehen: „Bundeskanzlerin gratuliert zweimal vor Milliarden Menschen aus der ganzen Welt Millionensteuerbetrüger.“ Nix, nitschewo, nothing. Es war nicht geschehen, denn was nicht in den Nachrichten auftaucht, ist nicht passiert. Das Flammenzeichen an der Wand hatte offenbar nur ich gesehen.

Irgendwie beruhigte ich mich wieder. Bis zum Frühling 2014. In einer kurzen Sequenz, vielleicht nur eine Sekunde lang, sah ich den damaligen deutschen Außenminister, umgeben von Leibwächtern, auf dem Majdan in Kiew, inmitten von Menschen, die gegen eine demokratisch gewählte Regierung protestierten. Es war wie ein Schlag für mich. Was hat der stellvertretende Bundeskanzler inmitten dieser Menschen zu suchen? Er ist kein Tourist, der wo und wann machen kann, was er will. Er repräsentiert die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Was macht diese also mitten in einem solchen Haufen und warum ist es keinem Medium in Deutschland auch nur den winzigsten Kommentar wert?

Alles, was danach kam in der Ukraine, hat dort auf diesem Platz seinen Anfang genommen und damit hat Deutschland genau so blutige Hände wie die Amerikaner, die Briten und die Truppen Poroschenkows, die im Donbass ihr eigenes Volk ermorden. Die deutsche Berichterstattung seitdem darüber besteht aus Lügen, Halbwahrheiten, Weglassen von Tatsachen und Faktenverdrehungen. Ab diesem Tag habe ich außer der Zwangsgebühr für die Finanzierung von ARD und ZDF keinen Cent mehr für ein deutsches Presseerzeugnis ausgegeben und werde es auch nicht mehr tun.

Es bedeutet jedoch nicht, dass ich nicht verstehe, was in der Welt geschieht. Ich suche mir meine Informationen selbst und aus Quellen, in denen man mir nicht sagt, wie ich diese Informationen zu interpretieren habe und mich nicht zwingt, in eine gewünschte Richtung zu denken. Natürlich kann es auch dort vorkommen, dass Informationen nicht komplett sind, verfälscht werden, Fakten weggelassen werden. Dann mache ich das, was eigentlich jeder tun sollte, der wissen will: überprüfen, mit anderen Quellen vergleichen und vor allem selbst denken. Das menschliche Gehirn nimmt ein bestimmtes Volumen ein und das wird gefüllt mit Wissen und Glauben. Ist wenig überprüftes Wissen darin, ist viel Platz für Glauben. Wie bekommt man den heraus? Ganz einfach – überprüfen, was man glaubt, dann wird daraus Wissen. Oder man entscheidet sich für den anderen Weg – lieber glauben, was andere erzählen; weiter in der Traumwelt leben und sein Denken von anderen betreuen lassen.

Zum Schluss noch eine kleine Anleitung für diejenigen, die lieber selbst denken. Ich benutze dazu als Krücke den Inoreader (https://www.inoreader.com/). Er ist kostenlos, im Gegensatz zu vielen anderen Newsreadern kann ich mir meine Quellen hier selbst zusammensuchen und es gibt ihn auch für das Mobiltelefon. Zurzeit nutze ich folgende Quellen:

Der Rubikon fliegt demnächst aus der Liste. Leider entwickelt sich dieses Onlinemagazin auch in Richtung betreutes Denken; verwendet Klischees, Worthülsen und druckt Artikel von Autoren, denen ich eine eindeutige Manipulationsabsicht unterstelle. Also raus damit. Ohnehin lebt diese Liste. Wer sich das alles nicht selbst zusammensuchen will, kann diese Liste auch importieren. Hier ist der Link dazu: https://www.inoreader.com/bundle/0014cd63eb54
Falls jemand Hilfe beim Einrichten benötigt – kurze Mail genügt. Ansonsten freue ich mich über Hinweise auf weitere Quellen.

Es wird zu diesem Artikel noch einen zweiten Teil geben, in dem es darum gehen wird, wie man Nachrichten von Manipulationen und betreutem Denken unterscheiden kann. Sollte euch die Zeit bis dahin zu lang werden, habe ich noch etwas für Euch, mit dem Ihr sie ausfüllen könnt:

Laß dir nichts einreden
Sieh selber nach!
Was du nicht selber weißt
Weißt du nicht.
Prüfe die Rechnung
Du musst sie bezahlen.
Lege den Finger auf jeden Posten
Frage: wie kommt er hierher?

Aus: Lob des Lernens, Bertolt Brecht, gesammelte Gedichte, Bd. 2, S. 462-​463

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20 Juni 2019

Danke

In jungen Jahren ist Lebenszeit etwas, über das wir uns kaum Gedanken machen. Höchstens, wenn wir wünschen, dass sie schneller vergehen möge, damit wir endlich als erwachsen angesehen werden und unsere Ziele und Träume erfüllen können. Unser Konto ist gefüllt, ein Ende nicht in Sicht und scheinbar ist niemand da, der uns Grenzen setzt. Wir verschwenden keinen Gedanken daran, dass die Anzahl der Schritte, die wir in unserem Leben tun können, endlich ist, und dass wir mit jedem verschwendeten Gedanken auch Zeit von unserer Lebensuhr nehmen.

Statt an uns selbst zu denken, verplempern wir unsere kostbare Zeit an das Ärgern über den Chef, den Zorn über Kollegen, Freunde, Bekannte; an Ängste vor dem Morgen und so rinnt uns unser Leben wie Ostseesand durch die Finger. Jeder Moment in unserem Leben, den wir im Guten an andere verschenken oder im Bösen an andere verschwenden, ist unwiederbringlich und nicht nur für uns. Denn wenn wir unsere Zeit mit den Phantomen der Menschen und Dinge verbringen, die wir nicht mögen, die wir hassen oder fürchten, stehlen wir diese Zeit den Menschen, die wir lieben. Den Menschen, die uns nahe sind und die für uns da sind, wenn wir sie brauchen. Sie sind es, die unser Leben schön machen und so sollte unsere Lebenszeit ihnen und uns gelten. Noch sind wir es, die unsere Gedanken kontrollieren und noch sind auch ausschließlich wir es, die darüber bestimmen, wem wir davon abgeben.

Ihr habt gestern an mich gedacht, habt mir von Eurer Lebenszeit etwas abgegeben und vielleicht musste ich tatsächlich erst sechzig werden, um zu verstehen, wie groß Euer Geschenk ist.
Ich danke Euch dafür aus tiefstem Herzen.

Rainer

18 Juni 2019

Kapitel 1

Teil I – Mondfischer

“Die Wahrheit ist nicht das, was ihr wollt, dass sie ist. Sie ist das, was sie ist und ihr müsst euch ihrer Macht beugen oder eine Lüge leben.”

Miyamoto Musashi

Kapitel 1

Gott hat die Menschen geschaffen, ihn anzubeten. Obrigkeit, Kirche und Krieg, sie immer daran zu erinnern und die Hölle, auf dass die Seelen jener, die den Kopf nicht beugen wollen, in ihrem Feuer ewige Pein erleiden. So macht man es die Leute glauben, und nichts davon ist wahr. Die Hölle ist nicht heiß, sondern kalt; so sehr, dass eine arme Seele, die sich dahin verirrt, nicht verbrannt, sondern tiefgefroren wird. Dieses Reich der Verdammnis existierte lange, bevor es auf der Erde jemanden gab, der genug Intelligenz besaß, an einen Herrn über ihm zu glauben.
    Es ist die Antarktis und Robert Falcon Scott schrieb über sie in sein Tagebuch: „Großer Gott! dies ist ein schrecklicher Ort.“
    Sechs Monate im Jahr ist es hier so finster wie im Herzen eines Kredithais, Stürme wie nirgendwo sonst rasen über ihren kilometerhohen Eispanzer und die Temperaturen fallen in Bereiche, in denen ein Alkoholthermometer einfach nur zerplatzt. Schützt du dich vor der Kälte, schickt sie einen Blizzard; gehst du vor dem Sturm in Deckung, reißt sie das Eis unter deinen Füßen auf; stehst du auf festem Grund, rollt sie häusergroße Felsen heran und hast du das alles überlebt, spielt der Kompass verrückt und du findest den Weg zurück nicht mehr. Ganz so, als würde ein tückischer Verstand hinter all dem stecken. Vielleicht ist es auch so.
    Die Antarktis ist nicht so leblos, wie sie scheint. Sie verzeiht keine Fehler und zu glauben, sie besiegt zu haben, ist einer. Scott war auf dem Rückmarsch vom Südpol, hatte schon das Basislager vor Augen, als sie ein letztes Mal zuschlug und einen Schneesturm schickte. Er erfror, nur ganze achtzehn Kilometer von der Rettung entfernt.
    Keine Nacht lässt sie mich schlafen, ich höre ihren Ruf wie Odysseus den Gesang der Sirenen. Sie lauert auf eine neue Chance, mich umzubringen, und es ist Zeit, sie ihr zu geben. Von Angesicht zu Angesicht.

Kälte rann mir den Rücken herab und ich schlug das Tagebuch von Thore Wejndahl zu. Die Antarktis kannte ich nicht, dafür aber die Menschen, mit denen er nicht zurechtgekommen war: zivilisatorische Weicheier, hilflos, wenn sie der Natur ohne Technik gegenüberstanden, kommunikations- und gefühlsunfähig ohne ihre Smartphones mit Rechtschreibprüfung und Smileys und krank, wenn sie bei einer Überlandfahrt einen Atemzug ohne Pollenfilter machen mussten. Was Wunder, dass sie, wenn sie einmal auf die Urkräfte der Natur trafen, dahinter einen heimtückischen Verstand sahen.
    Ob es überall so war? Rachmantikow hatte die Existenz paralleler Universen bewiesen, das Multiversum war keine bloße Theorie mehr. Möglich, dass auf einer der unendlich vielen Erden die Antarktis ein blühender Garten Eden war und die Menschen gelernt hatten, im Einklang mit der Natur zu leben, statt sie zu zerstören wie bei uns. Oder Schwerin keine Millionenstadt, sondern nur ein Provinznest. Was allerdings ziemlich schwer vorstellbar war. Meine Heimatstadt war zwar nicht das Zentrum des Universums, aber überall wuchsen neue Häuser empor wie Birkenschösslinge zwischen verlassenen Bahngleisen.
    Eine Tür fiel ins Schloss. Ich stand auf, reckte mich und ging durch das Halbdunkel im Saal zum Automaten. Es war kurz vor zwei in der Nacht. Höchste Zeit für mich, die Klinik zu verlassen.
Der Becher fiel in die Halterung, leise zischte das kochende Wasser in der Maschine. Der Ausgabearm fuhr heraus, ich nahm meinen Feierabendkaffee und stellte mich ans Fenster. Die Lichter der Stadt spiegelten sich auf der Oberfläche des nachtdunklen Schweriner Sees, ab und zu blitzte ein Lichtreflex darüber hin und alles schien wie immer.
    Diese Welt da draußen kannte ich. Menschen, die liebten und hassten; manchmal auch zornig wurden oder dumme Dinge taten; die gesund oder krank waren; arm oder reich; jung oder alt. Dass es noch eine andere gab, in der der Unterschied zwischen dem Fällen eines Baumes und dem Töten eines Widersachers nur in der Wahl des richtigen Werkzeugs und der Höhe der Summe, die dafür bezahlten werden musste bestand, hatte ich nicht wahrhaben wollen.
    „Werden sie Svensson besuchen?“, hatte Borg mich heute Nachmittag gefragt.
    „Wozu?“, hatte ich geantwortet. „Ein alter Arzt, der einen halbtoten Mann besucht, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als seine Opfer mit den Köpfen von Ungeheuern zu zeichnen. Das passt nicht. Einer Frau liegt so etwas mehr. Er hat auch Engel gemalt. Dann soll ihn auch einer besuchen.“
    Borg hatte nur genickt, ohne eine Miene zu verziehen. „Morgen Nachmittag kann sie zu ihm. Ich werde auf sie warten.“
    Natürlich würde er das. Er würde dem Engel die Flügel ausreißen und nur Svensson hatte einmal die Macht besessen, es zu verhindern. Doch der hatte eine Kugel im Rückgrat und jeder seiner wahrscheinlich letzten Atemzüge wurde überwacht. Der Löwe gefällt, in Ketten gelegt und Joanna würde offenen Auges um seinetwillen in die gestellte Falle laufen. Ihr Wissen preiszugeben oder zu sterben waren die beiden einzigen Wege, die Borg ihr lassen würde und ich konnte nichts weiter tun als zusehen.
     Ich riss mich aus meinen Gedanken, hinterließ der Nachtschwester ein paar Zeilen und machte mich auf den Weg zu meinem Wagen. Wolken zogen vor den Mond, als ich aus der Tür trat und die Leuchtstreifen im Gehweg erhöhten sanft ihre Lichtintensität. Der schiefe Bergahorn, unter dem ich immer meinen Wagen parkte, blühte und seine Pollen machten aus der lauen Augustnacht ein Sinnesfeuerwerk. Jemand hatte vor langer Zeit ein Herz und einen Pfeil in seine Borke gekratzt, im Laufe der Jahre war die Rinde vernarbt, das Herz aufgequollen und dort, wo es der Pfeil getroffen hatte, in zwei Teile zerbrochen. Tief atmete ich den Blütenduft ein und fragte ich mich, auf welchen krummen Pfaden meine Gedanken heute Nacht unterwegs waren.
    Vor über vierzig Jahren war ich Svensson das erste Mal begegnet. Damals hieß er noch Christian Oldenburg und war ein Steppke von gerade mal elf Jahren gewesen. Den Blick, den er mir zuwarf, als ich ihm das Blut von seiner aufgesprungenen Lippe tupfte, habe ich nie vergessen.
    Ich war der Ringarzt bei seinem ersten Boxkampf gewesen. Er hatte nicht kämpfen wollen, doch aus Vätermeinungen erwachsen Konsequenzen für deren Kinder, und deshalb hatte Christian beim Schweriner Sportclub „Traktor“ das Boxen lernen müssen. Obwohl sein Gegner einen Kopf größer und mit einer längeren Reichweite ausgestattet war, hielt sich Christian gut; brachte immer rechtzeitig genug die Deckung hoch und kassierte keine ernsthaften Treffer. Doch wenn er selbst hätte schlagen und treffen können, tat er nur so. Es waren Alibischläge, präzise gezielt, aber nicht bis zur letzten Konsequenz ausgeführt.
    In der Pause ließ der Trainer eine Standpauke auf ihn niederprasseln und in der zweiten Runde deckte Christian seinen Gegner so mit Schlägen ein, dass der nur noch reagieren konnte; nagelte ihn in den Ecken fest, und wenn er ihn wieder herausließ, dann nur, um ihn weiter durch den Ring zu treiben. Kurz vor Ende der Runde blieb Christian stehen und warf seinem Vater neben dem Ring einen langen Blick zu. Sein Gegner nutzte die vermeintliche Unaufmerksamkeit und schlug eine fürchterliche rechte Gerade. Ich bin mir sicher, dass Christian noch hätte reagieren können, wenn er gewollt hätte, doch statt sich zu schützen oder wegzudrehen, nahm er die Deckung herunter.
    Alles, was danach kam, hat mit diesem Niederschlag in der nach Schweiß stinkenden Boxhalle seinen Anfang genommen, in der der Elfjährige den Kampf verlor, um die Schlacht gegen seinen Vater zu gewinnen. Es war meine erste Begegnung mit Svensson gewesen und ich habe sie nie vergessen können.
    Fünfzehn Jahre danach begegnete er Joanna und das Schicksal goss ein paar wenige Stunden Glück über ihm aus, bevor es ihn in die Hölle stieß. Dass sie einen Ausgang hat und Joanna dort auf ihn wartet, konnte er damals nicht einmal ahnen. Kein Mensch hätte das gekonnt.
    Die Puzzlesteine seines Lebens habe ich selbst zusammengetragen und wo noch weiße Stellen im Bild waren, hat sie meine Phantasie ausgefüllt. Es ist nicht wichtig, ob es so genau stimmt. Wichtig ist nur, dass irgendwo ganz tief in dem Krüppel Svensson noch der trotzige kleine Junge von damals lebt, denn sonst sind wir alle verloren. Er würde morgen den unmöglichen dritten Weg finden zwischen Tod und Verrat. Kinder können das.
    Weil sie noch an Wunder glauben.

7 Juni 2019

Was bleibt

 

Mehr als zweitausend Kilometer  in sechs Tagen mit dem Motorrad durch Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen; den Harz, das Vogtland, das Erzgebirge und die Sächsische Schweiz; nur über Landstraßen und Feldwege, selten Bundesstraßen, nie die Autobahn. Was bleibt nach dieser Tour durch ein Land, das nach Meinung derer, die es nicht kennen, der dunkelste Teil Deutschlands ist; voll von Rechten, von Nazis und AfD-Wählern?

Um es vorwegzunehmen – wir haben sie nicht getroffen, sondern nur Menschen. Auf dem Fichtelberg, in 1215 Metern Höhe, brachte Lena es nach einem langen Rundblick mit sechs Worten auf den Punkt: „Mein Gott, ist dieses Land schön.“

So bleibt am Ende dieser Tour als erstes Staunen:
– über den Mann an der Kreuzung in Oelsnitz. Er schaute uns lächelnd ein paar Minuten bei unseren erfolglosen Versuchen zu, das Navi zu überzeugen, uns zu sagen, in welche Richtung wir fahren müssen. Dann wies er uns den Weg, obwohl wir ihn nicht gefragt hatten;

– über die Putzfrau in der Pension in Wernigerode, die das Trinkgeld nicht wollte und sich, als ich es ihr in die Schürzentasche steckte, mit einem altertümlichen Knicks und einem Lächeln dafür bedankte;

– über den Wirt des Gästehauses in Schöna, der uns ohne Aufpreis und mit einem breiten Grinsen ein Zimmer mit Terrasse und der besten Aussicht auf das Elbsandsteingebirge gab. Der außerdem vergaß, unser Essen und die Getränke auf die Rechnung zu setzen und als wir es ihm sagten, mit einem halb nach oben und halb nach wahrscheinlich Berlin gerichteten Zeigefinger erwiderte: „Nehmen Sie es als Geschenk zu Pfingsten. Es treibt mich nicht in den Ruin. Das machen andere. Gute Heimreise.“;

– über das junge Mädchen am Rand des Gigaswing an der Rappbodetalsperre und ihr Lächeln, mit dem sie den alten Mann 85 Meter senkrecht in die Tiefe stürzen ließ. 3,5 Sekunden freier Fall und den Schrei, den er ausstieß, als die Seile griffen und aus dem Sturz ein sanftes Schwingen wurde. Nachdem sie ihn wieder hochgezogen hatte, und das Geschirr entfernt hatte, sah sie ihn einen kurzen Moment an, dann nahm sie ihn in die Arme, einfach so. „Sie hatten so viel Glück in den Augen“, sagte sie, als er sie fragte warum. „Ich wollte etwas davon abhaben.“

Als Zweites bleibt die Liebe zu diesem Land, in dem ich geboren wurde. Unsere Mütter und Väter und deren Mütter und Väter haben es aufgebaut, mit Blut, Schweiß und Tränen. Es hat tiefe Wunden davongetragen, die Narben sind geblieben und immer neue kommen hinzu. Die, die sie ihm schlagen, wissen weder etwas von seiner Schönheit noch den Menschen, die in ihm leben. Sie haben es nie kennenlernen wollen, denn sonst könnten sie es niemals tun. Das hört sich nach Vaterlandsliebe an? Einen Begriff, der mit aller Macht heute negativ belegt wird und jeden, der ihn verwendet, zum Nazi stempelt? Sei es drum, ich kann damit leben. Genau wie es dieses Land kann, denn es ist mehr als Grund und Boden; mehr als Häuser, Dörfer und Städte. Dieses Land sind Menschen mit einer Idee von Deutschland im Kopf, die ein wenig anders aussieht, als es tatsächlich ist. Es ist ein Traum  und er ist einfach nicht auszurotten. Das Land kann man zerstören, zerstückeln, ruinieren; die Menschen kann man fortjagen, stigmatisieren als Ossi und Ewiggestrige, doch die Idee „Deutschland“ in ihren Köpfen wird auch dann noch leben, wenn jeden Tag bezahlte Demonstrationen mit „Deutschland verrecke“ – Plakaten und der versammelten Politprominenz dahinter durch die Straßen ziehen. 

So bleibt als drittes Gefühl in mir nur Mitleid für die, die von diesem Land nur den Kreißsaal kennen, in dem sie geboren wurden; den Hörsaal, in dem sie versagt haben und den Plenarsaal, in dem sie alles tun, um den Menschen dieses Landes diese Idee mit „Europa ist die Antwort“ auszutreiben. Sie tun mir leid, denn sie werden diese beiden Gefühle niemals kennenlernen: dieses Staunen und die Liebe.

Aber wir. Wir tragen sie in uns und davon handelt dieses Blog.